Herr Thiam, derzeit rollt in Äquatorialguinea und Gabun der Ball beim Afrika-Cup. Wie sehr begeistert Sie dieses Turnier?
Pablo Thiam: Die Freude ist immer sehr groß. Dadurch, dass man die afrikanischen Spieler auf ihrem Heimatkontinent spielen sieht, rückt man automatisch näher an Afrika heran. Da es in vielen Ländern Afrikas keinen geregelten Ligabetrieb gibt, kann man durch den Afrika-Cup sehen, wie sich der Fußball dort weiterentwickelt hat.
In Europa wird dem Turnier nur wenig Bedeutung zugesprochen. Woran liegt das?
Thiam: Dass sich das Interesse in Europa in Grenzen hält, liegt auch an der Zeit, zu der das Turnier stattfindet. Ende Januar gehen in Europa die Ligen wieder los oder laufen wie in England nahtlos weiter. Daher konzentrieren sich die Europäer auf ihren eigenen Ligabetrieb. Hinzu kommt die Uhrzeit. Die Spiele fanden in der Vergangenheit oft zu ungünstigen Zeiten statt, auch das verminderte das Interesse der Europäer.
Welchen Stellenwert hat der Afrika-Cup für die Länder und die Spieler des schwarzen Kontinentes?
Thiam: Der Afrika-Cup ist gleichzustellen mit einer Europameisterschaft. So wichtig, wie eine EM für die Europäer ist, so wichtig ist ein Afrika-Cup für die Afrikaner. Alle afrikanischen Nationen fiebern dem Turnier entgegen, entsprechend hoch ist die Bedeutung.
Gibt es Besonderheiten, die man so nicht aus Europa kennt?
Thiam: Ja, die gibt es durchaus. In den meisten Ländern Afrikas ist Fußball eine Art Staatsangelegenheit. Nicht selten werden die Spieler - bevor sie zu den Turnieren fahren - von den Staatsoberhäuptern, Präsidenten oder Machthabern empfangen und nochmal eingeschworen. Um die Teams in Trainingslagern vorzubereiten, werden enorme finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Das ist, wenn man sich die finanzielle Stärke des Kontinents zu Gemüte führt, ein riesiger Aufwand und eine große Belastung für die Staaten. Die wird aber gerne in Kauf genommen, um bestmögliche Resultate zu erzielen.
Kommen wir zum sportlichen Niveau des Wettbewerbs. Wie beurteilen Sie die fußballerische Qualität der afrikanischen Fußballnationen?
Thiam: Das Niveau ist sehr schwankend. Es gibt viele Mannschaften in Afrika, die mittlerweile mit europäischen Teams mithalten können. Das liegt aber daran, dass die meisten Spieler dieser Länder in Europa spielen und sich dadurch eine gewisse Struktur angeeignet haben. Das, gepaart mit der afrikanischen Athletik und dem Spielwitz, macht die Sache so interessant. Dann gibt es aber auch Mannschaften, die wenige Legionäre in ihren Reihen haben. Die sind entsprechend schwächer und lassen das fußballerische Niveau dadurch pendeln. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir bewegen uns zwischen Weltklasse und Amateurniveau.
Wo steht der afrikanische Fußball im Vergleich zum europäischen? Können die Europäer noch etwas dazulernen?
Thiam: Der Fußball in Afrika wird anders gespielt, als in Europa. Die Afrikaner sind in der Regel technisch beschlagen und körperlich sehr stabil und robust. Dafür mangelt es an der taktischen Ausbildung. Als bestes Beispiel sind die Torhüter zu nennen. Sie sind sehr spielfreudig, aggressiv, sprungstark und haben gute Reflexe, aber das ABC des Torwart-Daseins haben sie nicht gelernt. Daraus resultieren viele Torwartfehler und Paraden, die unkonventionell aussehen. Bei Mannschaften, bei denen die Mischung aus der afrikanischen Kultur und der europäischen Disziplin stimmt, stellt sich auch der Erfolg ein. Für mich ist eine Kombination aus beiden Spielweisen ideal.
Welche Teams haben die richtige Mischung gefunden?
Thiam: Paradebeispiel ist die Elfenbeinküste. Die hat einen sehr starken Kader mit vielen Legionären, die entsprechend europäisch-diszipliniert agieren. Das hat auch Ghana immer sehr stark gemacht.
Führt der Weg zum Erfolg also nur über die Legionäre?
Thiam: In der Regel ist das so. Aber es gibt auch Ausnahmen. Die einzigen Mannschaften, die Teams aus ihren Heimatligen zusammenstellen und gleichzeitig stark sind, sind die Nordafrikaner. Marokko, Tunesien und Ägypten haben in ihren Ländern funktionierende Ligen. Dort spielen Mannschaften, die sehr strukturiert sind und über eine gewisse Professionalität verfügen. Für afrikanische Verhältnisse ist das ein ganz hohes Niveau und spiegelt sich auch in den afrikanischen Vereinswettbewerben wieder.
Wer sind Ihre Favoriten auf den Turniersieg?
Thiam: Topfavorit ist zweifelsohne die Elfenbeinküste. Sie hat den stärksten Kader und Spieler wie Didier Drogba oder Kolo Touré, die schon ein wenig in die Jahre gekommen sind, werden alle Kräfte mobilisieren, um ihre Karriere doch noch mit einem Titel zu krönen. Beim Senegal bleibt abzuwarten, wie stabil das Gesamtkonstrukt ist. Selbiges gilt für Ghana. Marokko und Tunesien sind zwar nominell nicht so stark besetzt, unterschätzen darf man nordafrikanische Teams aber nie.
Wer wird der große Star des Afrika-Cups 2012?
Thiam: Das ist natürlich leistungsabhängig. Man muss abwarten, welche Mannschaften ins Finale kommen. Da sticht dann in der Regel auch ein Spieler heraus. Aber die große Persönlichkeit des Turniers ist Didier Drogba. Vom Auftreten, dem Standing und der sportlichen Klasse, stellt er alle anderen in den Schatten. Auch wenn Yaya Touré zu "Afrikas Fußballer des Jahres 2011" gewählt wurde, wird die Elfenbeinküste von Drogba angeführt. Er hat eine Präsenz und Aura, die ihn einfach auszeichnet.
Wie beliebt ist Drogba außerhalb der Elfenbeinküste?
Thiam: Er ist ein Repräsentant Afrikas. Man ist auf den ganzen Kontinent sehr stolz auf ihn. Er ist überall geschätzt und willkommen, das macht ihn schon zu etwas Besonderem.