Zwei Wolfsburger über die Faszination Pokal-Halbfinale
Sechsmal stand der VfL Wolfsburg im Halbfinale des DFB-Pokals, einmal erfüllte sich der Endspiel-Traum des Vereins– vor 19 Jahren, als der damalige Fußball-Zweitligist durch einen sensationellen 1:0-Sieg beim klassenhöheren 1.FC Köln nachBerlin fahren durfte. Zwei Männer, die imApril 1995 in Köln auf dem Platz standen, arbeiten aktuell für den VfL: Holger Ballwanzhielt das Mittelfeld der Wolfsburger zusammen und ist heute Fanbeauftragter. Und beim FC verteidigte Pablo Thiam, heute sportlicher Leiter der Regionalliga-Elf des VfL. „autogramm“ traf beide vor
dem DFB-Pokal-Halbfinale des VfL amDienstag, 15. April, 20.30 Uhr bei Borussia Dortmund und hat versucht zu ergründen, wie man in ein Halbfinale geht.
Lassen Sie uns über den 11. April 1995 sprechen, meine Herren.
Ballwanz: Sehr gerne!
Thiam (lacht): Muss das sein?
Erinnern Sie sich nach 19 Jahren noch an Details des Halbfinales?
Ballwanz: Klar! Das goldene 1:0 von Siggi Reich werde ich nie vergessen. Es muss nach gut 20 Minuten gewesen sein: Flanke Fritze Meißner von der rechten Seite und Siggi haut ihn rein…
Thiam: …weil ich einen Schritt zu spät war, konnte Fritze flanken. Da muss man gar nicht drumherum reden. Und in der Mitte hatte Karsten Baumann nicht aufgepasst.
Trotz der Niederlage scheint auch Ihnen das Spiel nach knapp zwei Jahrzehnten noch sehr präsent zu sein, Herr Thiam.
Thiam: Ich bin niemand, der zu allen Partien etwas erzählen kann. Zu dieser kann ich es. Vielleicht weil die Enttäuschung nach der überraschenden Niederlage so
groß war, vielleicht weil es eines meiner ersten großen Spiele war, denn die Saison 1994/95 war die erste für mich im Profi-Geschäft.
Wie waren die Vorzeichen?
Thiam: Wir waren Favorit und standen eigentlich schon im Finale. Wir hatten eine Riesentruppe, im Sturm zum Beispiel spielten Bruno Labbadia und Toni Polster.
Hinterher haben sich alle entgeistert gefragt: Warum haben wir verloren? Die Antwort ist klar: Den größten Fehler hatten wir schon im Vorfeld begangen, weil wir den
VfL nicht ernst genug genommen haben.
Wie ist es, ein so wichtiges Spiel zu gewinnen, Herr Ballwanz?
Ballwanz: Großartig! In Köln waren bestimmt 3000 Fans und damit auswärts so viele wie noch nie. Vergessen Sie nicht: Damals war der VfL ein Zweitligist. Pablo,
wir hatten übrigens mitbekommen, dass in Köln schon Voucher für das Finale verkauft wurden. Das hat uns zusätzlich motiviert.
Wie ist es, eine so wichtige Partie zu verlieren, Herr Thiam?
Thiam: Grausam! Bei mir hat es einige Tage gedauert, bis ich realisiert hatte, welch große Chance wir verspielt haben. Ich bin heute noch traurig, in meiner Karriere nie
im Pokalfinale gestanden zu haben.
Berlin, Berlin, alle wollen nach Berlin. Herr Ballwanz, ist das Finale dort wirklich etwas so Besonderes?
Ballwanz: Im Finale war ich leider verletzt, aber selbstverständlich im Stadion. Auch wenn du nur am Spielfeldrand stehst, bekommst du Gänsehaut. Die Pokal-Stimmung
in Berlin ist einfach großartig.
Thiam: Seit ich als Profi aufgehört habe, war ich bei jedem Pokalfinale, egal, wer es erreicht hat. Auch als Zuschauer hast du Gänsehaut. Die Stimmung lässt sich vergleichen
mit der bei einem wichtigen Länderspiel der deutschen Nationalelf.
Der VfL spielt bald in Dortmund erneut um den Final-Einzug. Worauf kommt es an in so einem Alles-oder-nichts-Spiel?
Ballwanz: Der Heimverein ist nicht immer Favorit, denn er steht unter Druck, gewinnen zu müssen. Deshalb kommt es sehr auf die Nervenstärke an.
Thiam: Wir haben mit dem 1.FC Köln vor 19 Jahren alles falsch gemacht, weil wir gedanklich nicht auf das Spiel eingestellt waren. Im Pokal kannst du nun einmal nicht
am nächsten Spieltag alles wiedergutmachen. Dieses Wissen kann Kräfte freisetzen, es kann aber auch lähmen. Mentale Stärke ist deshalb enorm wichtig.
Wie stehen die Chancen in Dortmund?
Ballwanz: Der VfL ist auf keinen Fall krasser Außenseiter wie wir damals in Köln. Außerdem hat er in Dortmund fast immer gut ausgesehen. Die Chancen stehen 50:50.
Thiam: Auswärts hat die Mannschaft in dieser Saison oft überzeugt und darüber hinaus die Dortmunder schon mehrmals in deren Stadion überrascht. „Balli“ hat
Recht: Die Chancen stehen 50:50.
Ballwanz: Hoffentlich hat der VfL in einem Halbfinale auch mal wieder Glück. 1999 zum Beispiel verschoss Detlev Dammeier kurz vor Schluss einen Elfmeter gegen Bremen
und die bessere Mannschaft musste ihren Berlin-Traum begraben.
Sind die Fans schon heiß aufs Halbfinale?
Ballwanz: Und wie, alle freuen sich auf das Spiel und die Faszination DFB-Pokal! Ich rechne mit 3000 bis 4000 Fans, die die Mannschaft auch unter der Woche nach
Dortmund begleiten werden.
Das Interview führte Marc Rotermund.
INFO
Holger Ballwanz (46) spielte von 1992 bis 2000 für den VfL Wolfsburg in der ersten und zweiten Liga. Weitere Stationen waren unter anderem Hamburger SV,Hannover 96 und
VfB Lübeck. Heute ist er Fanbeauftragter des VfL Wolfsburg.
Pablo Thiam (40) spielte von 2002 bis 2008 für den VfL Wolfsburg in der ersten Liga. Weitere Stationen waren unter anderem 1.FC Köln, VfB Stuttgart
und Bayern München. Heute ist er sportlicher Leiter des Regionalligisten VfL Wolfsburg II.