Herr Thiam, Sie haben in der Jugend für den 1. FC Köln gespielt, bei den Amateuren und schließlich vier Jahre für die Profis. Welche Rolle spielt der FC in Ihrem Leben?
Pablo Thiam: Es ist mein Heimatverein. Ich bin nach einem Jahr in der B-Jugend vom MSV Bonn zum FC gewechselt und war dann lange da. Ich habe immer noch sehr viel Kontakt nach Köln und obwohl ich wegen der beruflichen Stationen schon lange weg bin: Köln und der FC, das ist ein Stück Heimat für mich.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung des FC aus der Ferne?
Thiam: Mit der Verpflichtung von Alexander Wehrle und Jörg Schmadtke hat der FC einen Volltreffer gelandet. Dadurch ist Gelassenheit und Ruhe in das turbulente Umfeld eingekehrt. In Köln ist alles sehr emotional und in der Vergangenheit wurden viele Entscheidungen aus dieser Emotionalität heraus getroffen. Dazu hat der FC mit Peter Stöger einen sachlichen Trainer, der sich nicht von seinem Weg abbringen lässt. Die Menschen im eher hektischen Umfeld waren, so glaube ich, auch dankbar dafür, dass plötzlich Gegenpole da waren. Der FC kommt dank dieser Mischung in der Außendarstellung sehr gut rüber und hat sich durch die neue Ruhe sportlich stabilisiert. Auch mit Leuten wie Vize-Präsident Toni Schumacher, der die Rolle als Botschafter des Vereins hervorragend eingenommen hat. Der FC macht einen grundsoliden und sehr vernünftigen Eindruck.
Was trauen Sie dem Verein in den nächsten Jahren zu?
Thiam: Der FC braucht vielleicht noch ein paar Jahre, aber wenn alle verantwortlichen Personen auf der aktuellen Basis weiterarbeiten und der Verein irgendwann auch finanziell auf noch stabileren Füßen steht, dann wird der FC wieder eine sehr gute Adresse im deutschen Fußball sein. Die Rahmenbedingungen sind mit dem Stadion, den Fans und dem Geißbockheim ja sehr gut. Jeder Spieler, der in Köln gespielt hat, sagt später, dass es eine sehr besondere Zeit gewesen ist.
Woran erinnern Sie sich?
Thiam: Die Stimmung in Köln war immer sehr speziell. Für mich als jungen Spieler war das sehr besonders. Ich bin als Junge schon als Fan ins Stadion gegangen und habe das erlebt. Später dann selbst bei dieser Atmosphäre in Müngersdorf aufzulaufen, war unbeschreiblich. Ich habe neun Jahre in Köln verbracht, habe die Chance bekommen, Profi zu werden. Ich habe einen Verein kennengelernt, der einzigartig ist. Wenn man als kleiner Junge durch den Grüngürtel läuft, sich das Training der Profis anguckt, und dann als Profi auflaufen darf – das war ein Traum, der wahr geworden ist.
Dabei ging es sportlich bergab. Als Sie in der Jugend waren, wurde der FC 1992 noch Vierter. Sechs Jahre später haben Sie als Profi den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte miterlebt.
Thiam: Stimmt, es ging kontinuierlich bergab. Ein Jahr davor haben wir uns gerade noch in Rostock gerettet, als Holger Gaißmayer nach meiner Vorlage das entscheidende Tor gemacht hat, das weiß ich noch genau. Im Abstiegsjahr wurden wir gegen Schalke um einen klaren Handelfmeter betrogen und für Bielefeld hat mit Uwe Fuchs ein Ex-Kölner das entscheidende Tor gegen uns gemacht – das war alles filmreif, ein Drama für uns.
Wie waren die Tage danach? Hatten Sie Angst, sich in der Stadt zu zeigen?
Thiam: Der Abstieg war ein totaler Schock, aber es war eine eigenartige Situation. Der Verein war sofort im Umbruch. Es hieß, die sportliche Führung und der neue Trainer Bernd Schuster wollten mit jedem Spieler ein Gespräch führen. Mein Vertrag war nur für die Erste Liga gültig. Und ich habe einfach nichts vom Verein gehört, kein Termin, nicht mal ein Telefonat. Ich bin dann, wenn man so will, still, leise und ablösefrei nach Stuttgart gewechselt. Es gab keine Verabschiedung, gar nichts. Nach dem Abstieg war alles wie gelähmt, in der Stadt und im Verein herrschte düstere Stimmung und niemand wusste, wie es genau weitergeht.
Konnten Sie sich vorstellen, mit dem FC in die Zweite Liga zu gehen?
Thiam: Gute Frage. Das stand irgendwie gar nicht zur Debatte, weil alles unklar war. Ich bin in Urlaub gefahren, ohne zu wissen, wie meine Zukunft aussieht. Ich habe damals Patrick Weiser in der Bretagne besucht, habe von dort aus immer wieder bei meinem Anwalt in Köln angerufen und nachgefragt. Aber der FC hat sich einfach nicht gemeldet. Stattdessen haben andere Vereine nachgefragt, weil bekannt war, dass ich ablösefrei zu haben war. Und dann bin ich eben nach Stuttgart gewechselt.
Und drei Jahre später haben Sie mit dem FC Bayern den Weltpokal gewonnen. Haben Sie sich das bei Ihrem Abschied aus Köln erträumt?
Thiam: Nein! Als ich Köln verlassen habe, war ich noch ein junger Spieler. In Stuttgart bin ich in eine Mannschaft voller Stars gekommen: Soldo, Bobic, Balakow, Akpoborie, Verlaat. Das war eine Riesentruppe. Ich kam als junger Spieler mit Perspektive, aber schon eher als Ergänzung. Ich musste mich da durchbeißen, das war auch eine unruhige Zeit in Stuttgart. Aber ich habe mich zu einem gestandenen Bundesliga-Spieler entwickelt – und bin nach drei Jahren weiter zu den Bayern.
Was sind eineinhalb Jahre bei den Bayern wert? Sie haben zwar einige Spiele gemacht, sich aber letztlich nicht durchsetzen können.
Thiam: Bei mir war bei meinem Abschied aus Stuttgart die Frage: Gehe ich nach Dortmund zu Matthias Sammer oder eben nach München? Ich habe auch Gespräche mit italienischen Vereinen geführt, aber das hat mir nicht so sehr zugesagt, man hörte schon damals hin und wieder von Rassismus dort. Dann war ich schon fast in Dortmund, aber der Ruf der Bayern war dann doch etwas Besonderes. Mein Verstand hat mir gesagt: Geh nach Dortmund. Aber mein Bauchgefühl war eher: Bayern wäre schon geil. Die erste Halbserie in München war für mich auch sehr positiv, ich habe viel gespielt.
Warum ging es abwärts?
Thiam: Wir sind nur Dritter geworden und ich habe mich leider zu sehr ungünstigen Momenten verletzt. Unser Trainer Ottmar Hitzfeld sagte mir dann, dass er leider nicht auf mich warten könne. Weil es nicht für die Meisterschaft gereicht hat, haben die Bayern im Sommer einige Spieler verpflichtet, unter anderem Michael Ballack. Dadurch wurde es für mich schwierig. Uli Hoeneß hat sich gewünscht, dass ich bleibe, aber ich wollte so viel wie möglich spielen, deshalb bin ich im Januar 2003 nach Wolfsburg gewechselt. Dort hatte ich das Gefühl: Hier wird etwas aufgebaut, hier werde ich gebraucht. Und dann bin ich einfach nicht mehr weggegangen. (LACHT)
Jetzt sind Sie seit mehr als zwölf Jahren in Wolfsburg. Wenn man so lange da ist – hört man die ewige Kritik noch? Stichwort: VW-Werksklub.
Thiam: Ich kann es nicht nachvollziehen. Aber wir leben eben in einer Wettkampfgesellschaft. Man kann die Vereine nicht miteinander vergleichen. Ich habe den FC kennengelernt und gesehen, wie große Tradition sich sowohl positiv als auch negativ auswirken kann. Wolfsburg war eine ganz andere Nummer. Ein Verein, der aufstrebend war und wachsen wollte. Das ist mittlerweile geschehen. Manche Erfahrungen musste der VfL einfach machen und daraus lernen, anders als die Mannschaften, die seit 30, 40 oder 50 Jahren in der Bundesliga spielen.
Sie waren Führungsspieler und Kapitän, mittlerweile sind Sie sportlicher Leiter der zweiten Mannschaft. Wie können wir uns diesen Job vorstellen?
Thiam: Ich bin für alle Belange der zweiten Mannschaft zuständig, in enger Absprache mit unserer Geschäftsführung, vor allem mit Klaus Allofs. Zu meinen Aufgaben gehören die Kaderplanung, das Vertragswesen, die Planung aller Abläufe. Ich fühle mich sehr wohl in dem Bereich, Trainer möchte ich nicht werden. Wir müssen die jungen Spieler so ausbilden, dass sie optimal vorbereitet sind für unsere Profimannschaft. Wir haben identische Abläufe und vermitteln genau die Werte, die bei unserer Lizenzabteilung zählen.
Viele Vereine wie Bayer Leverkusen haben ihre zweite Mannschaft mittlerweile abgemeldet. Diese Gefahr sehen Sie in Wolfsburg also nicht?
Thiam: Wir haben uns als Verein zur zweiten Mannschaft bekannt – sie ist ein sehr wichtiger Teil des VfL Wolfsburg. Jeder Verein muss für sich entscheiden, wie er seine jungen Leute ausbildet. Wir jedenfalls machen sehr gute Erfahrungen mit der zweiten Mannschaft.